Christa

Corbusierhaus
Eva und John besuchen Frau Pallokat im Corbusierhaus. Sie ist eine hellwache und aktive Bewohnerin. Sie gibt nicht nur gern das Interview, sondern vermittelt auch noch weitere Gespräche. Das Corbusierhaus ist nämlich eine weltweit berühmte Architektur-Ikone, und nicht alle Menschen finden es toll, ständig interviewt zu werden. Deswegen ist es ein Glück, dass Frau Pallokat so gut im Haus vernetzt ist. Sie wohnt zwar noch nicht sehr lange hier, hat aber eine besondere Geschichte mit dem Haus. Sie beginnt, als sie 16 Jahre alt ist…

„Meine Geschichte ist alt, und sie fängt an in der Zeit der Interbau-Ausstellung 1957, als die Häuser im Hansaviertel gebaut wurden und für das Corbusierhaus gerade die Planungsphase beendet war. Damals war ich wenig älter als Ihr. Die Führungen während der Interbau weckten den Wunsch in mir, im Hansaviertel zu wohnen. Ich nahm mir vor: Wenn du mal eine Familie hast, dann gehst du dahin und nirgendwo sonst! Ich lebte aber im Osten der Stadt – dann wurde die Mauer gebaut, und alles kam anders. 
Erst nach der Wende gab es wieder die Möglichkeit, in den Westen zu ziehen. Ich wollte ins Hansaviertel, aber das klappte nicht. Dann fiel mir wieder das Corbusierhaus ein, und so bin ich hierher gezogen. Es ist die Architektur von Le Corbusier, die ich so interessant finde, und deswegen bin ich hier.

Wie würden Sie das Besondere an diesem Haus und an diesem Quartier beschreiben?
Das Besondere an unserem Haus ist seine Lage. Wir befinden uns auf einem Berg. Wir sind mitten in der Natur und trotzdem der Stadt ganz nah. Wenn ich nach Osten aus dem Fenster schaue, dann sehe ich Berlin. Und wenn ich nach Westen aus dem Fenster schaue, dann sehe ich den Grunewald. Wunderschön, die viele Natur. Dort bin ich am liebsten. Ich wandere nämlich gern und gehe viel spazieren. Und dann ist direkt nebenan der Teufelsberg – hier ist der Teufel ganz nah …!
Und was ich alles unternehmen kann, ohne lange Wege zu fahren – wir sind sehr gut an die Stadt angebunden. Ich habe das, wovon Touristen träumen, wenn sie in ihre Reiseführer schauen. Den Ku’damm und die Konzerte, die Theater und die Museen, alles ist schnell erreichbar.

Und das Olympiastadion…
Das ist nicht immer eine Freude. Wenn dort Großveranstaltungen sind, ist großer Lärm, und oft bleibt viel Schmutz zurück. Auch trampeln Menschen oft über unser Grundstück und pinkeln an jeden Baum und an jeden Zaun. Das ist nicht gerade angenehm.

Was würden Sie sich für Ihr Haus denn wünschen?
Ich wünsche mir mehr Einkaufsmöglichkeiten und medizinische Einrichtungen, die für ältere Menschen besser zu Fuß zu erreichen sind. Die gibt’s hier leider nicht.

„Es gibt Lesungen, Ausflüge, Veranstaltungen – So hatte sich Corbusier seine „Wohnmaschine“ sicherlich vorgestellt.“
Wir haben gelesen, dass der Architekt sein Haus „Unité d’Habitation“, also „Wohneinheit“ genannt hat, andere sagen auch „Wohnmaschine“ dazu. Dazu passen ja auch die langen Flure in den verschiedenen Farben, die vielen Aufzüge und die langen Reihen von Türen. Für uns ist das spannend, aber ist es auch zum Wohnen schön?
Ich lebe sehr gern in diesem Haus. Auch wegen des Fahrstuhls, der sehr bequem ist, vor allem für Ältere. Viele werden hier alt, denn man möchte einfach nicht ausziehen. Das liegt auch an den Menschen, die hier zusammenwohnen und kreativ werden. Wir sitzen z.B. hier im Zimmer des „Fördervereins Corbusierhaus“, der sich sozial und kulturell engagiert und für Menschen da ist, die hier leben. Es gibt Lesungen, Ausflüge, Veranstaltungen – für jeden ist etwas dabei. Und einmal im Monat ist Corbusier-Café. Unsere Haustechniker sind ganz toll, sie halten das Haus tiptop in Ordnung, veranstalten im Sommer ein Haus-Sommerfest und Film- und Karaoke-Abende. Also, diese kulturelle Seite im Haus gefällt mir sehr gut. So hatte sich Corbusier seine „Wohnmaschine“ sicherlich vorgestellt.
Was hat sich über die Zeit hier im Haus verändert?
Als ich 2007 einzog, wohnten hier zum großen Teil ältere und alte Menschen, die von Anfang an hier waren. Inzwischen ist es im Haus sehr viel jünger geworden. Viele Familien mit kleinen Kindern sind eingezogen. Es ist lauter und lebhafter im Haus, und auch der Spielplatz wird wieder genutzt. Schön zu erleben ist, wie die Kinder in den Fluren spielen. Ich weiß, dass es hier früher zuging wie im Kindergarten: Die Türen offen, die Kinder auf den Fluren. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, dass die jungen Leute nicht zu schätzen wissen, in was für einem schönen Haus sie wohnen. Das stimmt mich traurig. Gehört dazu nicht, dass man sich an bestimmte Regeln hält? Das Bewusstsein dafür fehlt ein bisschen.
„Schön zu erleben ist, wie die Kinder in den Fluren spielen. Ich weiß, dass es hier früher zuging wie im Kindergarten: Die Türen offen, die Kinder auf den Fluren. .“
Eva: Ich verstehe das und stimme Ihnen zu. Aber ich bin hier aufgewachsen und habe erlebt, wie Leute sich beschwerten, wenn wir mal auf den Fluren spielten – auch ohne, dass wir sehr laut waren (hier geht es zum Interview mit Eva).
Das ist schade. Ich finde, dass es Verbindungen unter den Menschen geben muss. Man muss sich kennenlernen und miteinander reden. Besonders wichtig wäre, dass die jungen Leute, die hierher ziehen, sich engagieren und weiterführen, was die Alten aufgebaut haben. Sonst gibt es einen Bruch. Wäre doch schade, wenn das alles aufhört! 
Aber das ist natürlich auch alles eine Zeitfrage.
„Besonders wichtig wäre, dass die jungen Leute, die hierher ziehen, sich engagieren und weiterführen, was die Alten aufgebaut haben.“