Irmelin

Haus von Arne Jacobsen im Hansaviertel
Als John zum Interview ins Haus von Irmelin und Rainer Jättkowski kommt, ist es schon dunkel. Deswegen kann man den Garten durch die großen Fensterflächen nicht mehr sehen, dafür umso besser die vielen Bücher und den Flügel. Das Ehepaar wohnt seit 2001 im Bungalow in der Händelallee. Die Beiden sind im Hansaviertel und darüber hinaus sehr bekannt. Unter Anderem deswegen, weil Frau Jättkowski Pianistin ist. Sie gibt Klavierstunden, und sie veranstalten bei sich öfters Hauskonzerte. Überhaupt spielen die Musik und das Lesen hier eine große Rolle…

Wir sind hier eingezogen, weil wir etwas finden mussten, wo ich Tag und Nacht auf meinem Klavier spielen konnte. Hier geht das, weil hier keine unmittelbaren Nachbarn haben, die das stören könnte. Besonders dann, wenn man anfängt zu lernen und sich alles noch schief und krumm anhört.
Ich kannte aber Moabit schon. Ich bin als Flüchtlingskind mit meiner Mutter 1948 hierher gekommen, mit neun Jahren. So bin ich in dieser Gegend groß geworden. Gelebt haben wir in Alt-Moabit. Ich ging auf die damalige Tiergartenschule, wo ich auch mein Abitur gemacht habe. Klavierspielen wollte ich eigentlich schon als Vier- oder Fünfjährige Klavier, so wie meine Mutter, und weil Vater Musiklehrer war. Aber durch den Krieg war das nicht möglich. Wir hatten ja auch kein Instrument mehr, und so bin ich erst mit zwölf zum Klavierspielen gekommen. Ich habe auch dort gewohnt, so lange ich an der Hochschule Klavier studierte.
Wie lebt es sich denn in so einem Bungalow – und speziell in Ihrem? Sie haben ein beeindruckendes Bücherregal!
Oh ja, für unsere 1000 Bücher bräuchten wir eigentlich mehr Platz. Das Zimmer meines Mannes wächst mit Papier und Büchern zu. Für eine größere Familie wäre es nicht so geeignet, weil nicht genug Platz ist. Es gibt auch keinen Keller. Dafür ist es ein großer Vorteil, dass wir von allen Seiten von Licht, Luft und Grün umgeben sind. Für uns ältere Menschen ist es bequem, das Haus hat nämlich keine Treppen. Und die Verkehrsanbindung ist vorzüglich. Für mich ist die Erreichbarkeit sehr wichtig. Ich unterrichte ja noch, und meine Schüler und Schülerinnen kommen teilweise von weither. 
 Das Schönste an unserem Haus ist aber das:  Der Vorgänger, von dem wir das Haus übernommen haben, hatte so umgebaut, dass die Vorhänge, die den Raum teilen, herausgenommen werden können. Dann hat man einen großen, weiten Raum. Hier steht auch der Flügel.
„Wir haben ein richtiges „Laternenhaus“: Von allen Seiten kommt Licht herein, und in der Mitte liegt unser Kamin. Dieses Zimmer erinnert mich an das Schlafzimmer von Odysseus. Der hatte in der Mitte einen dicken Baum stehen, und sein Bett stand drumherum.“
Wie würden Sie denn das Hansaviertels beschreiben?
Das Besondere am Hansaviertel ist die gute Nachbarschaft. Wir leben eigentlich genau wegen der Freundschaften hier, die wir hier haben und die sich hier bilden. Wir sind hier so eine schöne Gemeinschaft geworden! Uns ist der Kontakt mit anderen Menschen und der gegenseitige Austausch wichtig. Und natürlich, dass alle Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind. Wir haben hier keine nachbarlichen Streits, wo gemeckert wird, wenn irgendwas über den Zaun geflogen ist. Ganz im Gegenteil: Wir helfen uns gegenseitig. 
Ich vermisse allerdings das Restaurant „Giraffe“ sehr, das es hier mal gab. Das war ein wichtiger Treffpunkt. Da haben wir uns oft mit Freunden getroffen.
Durch die Interviews lerne ich ganz unterschiedliche Menschen und Häuser kennen – wir Jugendlichen stellen ja in unserem Projekt ältere Menschen und ihre Geschichten aus den Vierteln nebeneinander vor.
Solche Projekte finde ich wunderbar. Vor allem, wenn die Rollen vertauscht werden. Dass nicht wieder die Alten die Jungen ausfragen, sondern umgekehrt. So etwas sollte viel mehr gemacht werden. Ich bin kinderlos und habe trotzdem ganz viele Kinder, weil ich so lange an der Musikschule unterrichtet habe und mit vielen einen sehr engen, freundschaftlichen Kontakt behalten habe. Auf die Weise bin ich mit allen Generationen verbunden. 
 Vielleicht lerne ich durch Euer Projekt auch die anderen Quartiere etwas kennen. Denn ich selbst war ja noch gar nicht in allen Stadtteilen. Dafür ist Berlin doch zu groß. Aber das Wunderbare an Berlin ist, dass jeder Kiez seine eigene Atmosphäre hat. Bevor wir hierher gezogen sind, haben wir in Frohnau gewohnt. Da habe ich mich geradezu einsam gefühlt. Ganz im Gegensatz zu hier, wo ich mich sehr eingebunden fühle. Und wo ich mal eben in die Kneipe gehen kann. Oder ins Theater. Oder ins Konzert. Oder, oder, oder…
„Ich bin kinderlos und habe trotzdem ganz viele Kinder, weil ich mit vielen einen sehr engen, freundschaftlichen Kontakt behalten habe“
Halten Sie das Hansaviertel für zukunftsfähig? Und was müsste sich verändern, damit es auch in Zukunft ein guter Ort bleibt?
Ich glaube, die Veränderungen kommen mit den Menschen. Ich hoffe nur, dass die Atmosphäre bleibt. Wenn der Bevölkerungszuwachs in Berlin anhält und alles immer knapper und teurer wird, wer kann es sich dann überhaupt noch leisten, so viel Platz zu haben? Und dann gibt es auch noch die klimatischen Veränderungen und die Luftverschmutzung. Wir haben bei einem heftigen Sturm unseren schönen Baum verloren. Aber das ist der Lauf der Dinge. Man weiß nicht, was die Zukunft bringt. Du kannst nur die Bäume fragen – ob sie so lange aushalten, wie du noch hier bist. Und auch ich verschwinde irgendwann. 
 Die Häuser hier sind sehr einfach gebaut. Das ist eigentlich Plattenbau. Wenn du deine Hand da hinten in die Ecke hältst, dann merkst du, wie es zieht. Da ist nix mit Wärmedämmung! Das Ganze hier steht schon seit 1957. Ich kann nur sagen:
„Übernehmt das, was da ist, und versucht, das Beste daraus zu machen!“
Gibt es irgendwas, das Sie sich für das Hansaviertel wünschen?
Zur Frage, was ich mir für mich wünsche, fällt mir nichts ein. Ich bin sozusagen wunschlos glücklich. Es wäre allerdings wunderbar, wenn wir so etwas wie ein Stammcafé, eine Stammkneipe oder ein Restaurant hätten. Für so etwas muss man jetzt immer jenseits der Spree gucken und das ist für ältere Menschen zu weit zu laufen. Und fahren will man ja auch nicht.
Was möchten Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
„Finde deinen Weg und habe den Mut, du selbst zu sein.“
Mit allem Drum und Dran. Sei überzeugt von dem, was du machst. Probiere dich aus und bleib neugierig. Neugierig, mutig und offen. Guck auf die Welt, damit du siehst, was gut ist und was nicht und guck, wo du ein gutes Miteinander erschaffen kannst. Das ist das Wichtigste.

Hier gibt es weitere Infos zum Haus von Arne Jacobsen.